Es war der 15.08.21 und das Fahrrad lag im Kofferraum, als ich mich früh morgens auf den Weg in Richtung Harz machte, um die 155km Tour des „The Gravel Fest“ zu fahren, an welchem ich leider arbeitsbedingt nicht wie geplant teilnehmen konnte. Ein sehr ambitioniertes Ziel wie sich später herausstellte.
Meine bisherigen „Bergerfahrungen“ mit dem Rad machte ich im Süden Hamburgs in den Harburger Bergen, und meine Vorstellung vom Unterfangen waren eher romantischer Natur: der Kampf zwischen Mensch und Natur, Körper und Steigung.. ach was sag ich, es war einfach nur dumm von mir.
Es war August, und wir hatten noch sommerliche Temperaturen. Nach einer wirklich angenehmen Fahrt in Richtung Harz, gänzlich ohne Frühstück, erreichte ich am Morgen einen Parkplatz in Hahnenklee.
Um genau 08:45Uhr ging die Fahrt los. Anfangs noch sehr angenehm durch das beschauliche Örtchen radelnd, ging es bald schon ein ordentliches Stück nur bergab. Es machte absoluten Spaß und endete in der rund 1000 Seelen Ortschaft „Wildemann“. Nach einer kurzen Fahrt über dessen Straßen, führte mich die Route wieder in den Wald hinein, und ich machte kurz Pause um endlich zu frühstücken.
Der Platz war einladend, die ersten zehn Kilometer waren abgespult, und es wartete eine von der Vegetation eingefasste Bank zum Sitzen auf mich. Als ich dort so gesessen habe und mein Salami Brötchen aß, zeigte sich direkt vor mir der erste wirkliche Aufstieg. In knapp 1,8km ging es nun 180hm hinauf, und da merkte ich schon, es wird alles andere als romantisch oder toll. Es wird einfach… schei*e anstrengend.
Was soll ich sagen? Ich sollte Recht behalten. Mit meiner 28er Kassette und der geringen Übung aus den Harburger Bergen strampelte…und schob ich mich hinauf.
Auf dem Weg kam mir, breit grinsend, ein E-Mountainbike Fahrer entgegen, und sagte nur lachend: ,,ist nicht mehr weit“, und fuhr weiter Berg ab. Menschen können ja so gemein sein…
Nichts desto trotz hatte ich einen Plan, ein Ziel im Kopf: ich wollte die 155km schaffen, koste es was es wolle. Ich wollte für mich selbst herausfinden zu was ich eigentlich in der Lage bin, was ich schaffen kann und herausfinden woran es letztlich scheitert.
(Selbstfindung und so)
Oben angekommen belohnte man mich mit einem fantastischen Ausblick, irgendwie hatte es sich also gelohnt und dies war erst der Anfang.
Motiviert fuhr ich weiter, breite Forstwege mit eingefahrenen Rillen zeugten von Forstwirtschaft und erschwerten das vorankommen. Nach weiteren acht Kilometern (Km 19) erreichte ich den im 17. Jahrhundert angelegten „Unterer Hahnebalzer Teich“, welcher für die Versorgung der umliegenden Bergwerke entstand. Ein ruhiges Fleckchen Erde, perfekt für eine kurze Pause.
Landschaftlich hatte sich dieser Trip schon mehr als gelohnt. Bis zu diesem Tage habe ich den Harz immer nur mit dem Brocken verbunden, aber nicht mit soviel Schönheit.
Bei Kilometer 23 erscheint dann, nicht in die Landschaft passend, ein psychiatrisches Pflegezentrum. Der Weg führte direkt daran vorbei, irgendwie eine seltsame Erscheinung. Ab da ging es dann auch wieder hinauf bis nah an die Spitze des Berges „Heidelbeerköpfe“ (621hm) um sich daraufhin wieder fünf Kilometer über die Söseltalsperre auf 340hm hinabrollen zulassen.
Nun stand die für mich schwerste Etappe an. Nach einer kleinen Brücke über die „Rauher Schacht“ ging es über gut 5km und 470hm hinauf auf den „Auf den Acker“ und zur dortigen Wirtschaft namens Hanskühnenburg. Es dauerte nicht lange und ich begann vom Rad abzusteigen und zu schieben. Selbst die wirklich wunderschöne Natur konnte mich nicht davon ablenken, dass ich ab da hätte umkehren sollen.
Natürlich habe ich das nicht getan.. und immer öfter begann irgendetwas an meinem Rad permanent zu schleifen.
Nach gefühlten Stunden erreichte bei ich bei Kilometer 35 die Wirtschaft. Ich war noch nie so froh über einfache Nudeln mit Tomatensoße, meine Vorräte waren eh schon erschöpft und die mitgenommenen drei Liter Wasser waren an diesem sehr warmen Tag absolut nicht ausreichend. Gestärkt und mit einer vollen Flasche Wasser ging es wieder bergab in Richtung Siebertal.
Mein Gedanke war, da es nun über 1,2km 150hm hinab ging, in relativ kurzer Zeit Strecke zu machen.
Was ich bei diesem Gedanken allerdings nicht berücksichtigt habe, waren die Bremsen am Rad. Das bereits erwähnte Schleifen ging von den Bremsen aus… Es ging direkt hinunter über wirklich sehr groben Schotter. Die Räder blockierten, fanden absolut keinen Halt und das Rad kam nicht zum Stehen. Jetzt mag der ein oder andere sagen, dass man doch einfach nicht bremsen solle… nun…das mag sein, habe ich aber, und die eh schon heissen Bremsbeläge und Scheiben, welche durch das dauerhafte Schleifen hervorgerufen wurde, ließen irgendwann einfach nach.
Ich entschied mich also wieder einmal zu schieben, und so wandelte sich die geplante Radtour mal wieder zu einer Wanderung. Nach gut zwei Kilometern ging der Untergrund von Schotter in Asphalt über und ich muss im Nachhinein darüber schmunzeln, wie leicht ich an diesem Tag glücklich zu machen war. Allerdings währte diese Freude darüber nicht lange, denn sehr schnell sagte mir die Navigation „rechts abbiegen“..
Wieder zurück auf Schotter, Stein und Sand. Allerdings leisteten die extra für diesen Ausflug gekauften Reifen (Specialized Pathfinder) einen fantastischen Job, und so ging es relativ entspannt über 4km 300hm hinab nach Siebertal, um dann entlang der „Sieber“ nördlich das Städtchen St. Andreasberg und dann südlich die Stadt Braunlage zu umfahren und in Richtung Brocken zu gelangen.
An der Sieber angekommen entdeckte ich ein Verlassenes Gebäude. Es ist eine alte Schleiferei, welche scheinbar regelmäßig von Menschen aufgesucht wird. Das Gebäude schien schon länger leer zu stehen, ein Teil des Daches ist bereits eingestürzt. Hier sollte nun auch meine Komoot Navigation enden. Die eingepackte Powerbank hatte über Nacht offensichtlich nicht richtig geladen, der Akku vom Handy lag bei 14% und ich war gezeichnet von der Sonne, der Hitze und der Anstrengung. Mir war einfach nur noch schwindelig.
Ich rief einen Freund in der drei Stunden entfernten Heimat an, und bat ihn herauszufinden wo genau ich gerade bin, und ob er mir ein Taxiunternehmen in der Nähe heraussuchen könnte.
Als ich dort anrief wurde mir gesagt, dass das nächste Taxi in 3-4 Stunden bei mir sein könnte… Freundlicherweise gab mir der gute Mann am Telefon noch zwei weitere Nummern. Bei der Einen ging niemand ran, bei der Anderen hieß es ebenfalls 3-4 Stunden. Was sollte ich tun?
Also rief ich wieder meinen bereits erwähnten Kumpel an, und fragte ganz kleinlaut was er denn noch so vorhabe… Kurz um, wir vereinbarten einen Treffpunkt bei der nächstgelegenen Tankstelle in St. Andreas Berg, welche in gut 10km Entfernung lag. Um ungefähr abzuschätzen wann wir dort eintreffen würden, vereinbarten wir ein weiteres Telefonat in genau zwei Stunden. Ich schaltete nach kurzer Suche der Route auf Maps das Handy aus und machte mich auf den Weg.
Es ging mal wieder bergauf, 140hm. Entlang der Straße war nicht mehr ans Treten zu denken, ich war k.o,und den letzten Schluck Wasser hatte ich bereits leer getrunken.. (schlechtes Wassermanagement)
So wanderte ich mit dem Fahrrad am Rande einer Bundesstraße, langsam in Richtung St. Andreasberg. Autos und Motorräder fuhren dicht an mir vorbei und ich war mental an einem Punkt angelangt, an dem mir tatsächlich alles egal war. Ich wollte nur noch zu dieser Tankstelle, etwas trinken, mich hinsetzen und nichts mehr tun.
Ich war fertig. Zum ersten Mal hatte ich diesen Punkt erreicht, an dem der Körper mir sagte: „lass es einfach“.
In St. Andreasberg angekommen, wanderte ich durch leere Straßen. Die wenigen Leute die ich sah, fragte ich wo denn hier die Tankstelle sei, und so gut wie jeder sagte mir: „man sei heute erst angekommen und wisse es nicht“. Ob dem so war, oder es einfach nur Misstrauen gegenüber einem Fremden ist, wusste ich nicht. Es war mir auch egal.
Irgendwann traf ich dann auf eine junge Frau, die mir in etwa die Richtung deuten konnte, und nach inzwischen zwei Stunden erreichte ich die Tankstelle.
Ich schaltete mein Handy ein und telefonierte, in meiner Hand eine Flasche kaltes Wasser, sowie ein Schokoriegel. Herrlich.
Gegen 19:30 Uhr traf meine Abholung ein, selten war ich einem Menschen so dankbar wie an diesem Tag. Auf dem Weg zu meinem Auto dachte ich darüber nach was ich da eigentlich getan habe.
Eventuell war es eine total dämliche Idee, aber eventuell brauchte ich auch genau das. Einmal diesen Punkt erreichen, an dem man über sich selbst hinauswächst und weitermacht, obwohl man aufgeben möchte.
Wo hat man das sonst? Ich hatte diesen Punkt schon lange nicht mehr und werde diese Fahrt definitiv noch einmal machen.
Respekt gilt auch den Scouts der Strecke vom oben erwähnten „The Gravel Fest“.
Links:
Die Strecken des Events auf Komoot: https://www.komoot.de/collection/1277041/-the-gravel-chase-2021